Abenteurer • Autor • Fotograf • Ingenieur für Photonik • Nerd • Sportler
Wer Ja zum Leben sagt, kann was erleben.
Von dunklen Momenten bis zum antarktischen Sommer ohne Sonnenuntergang: Bojan Koprivica kann Geschichten von Licht und Schatten nicht nur erfinden, sondern aus dem eigenen Leben erzählen.
Ich erfuhr, wie er durch Zufall einen Weg nach Amerika entdeckte, wie die Verbundenheit zu Menschen zur Herausforderung wurde und wie er es schafft, nicht nur ein Leben zu leben.
Bojan, du bist in Kroatien geboren und aufgewachsen. Wie sieht deine liebste Erinnerung an deine Kindheit dort aus?
Die Zeit auf der Insel, bei meiner Oma und meinen Cousins, zählt zu meinen liebsten Erinnerungen. Dort verbrachte ich im Sommer fünf bis sechs Monate am Stück. Die Schulferien waren nicht über das ganze Jahr verteilt, sondern hauptsächlich in drei Monaten im Sommer gebündelt. Und da ich, wie andere Schüler auch, am Anfang und Ende je einen Monat anhängte, in denen meine Oma mir Schulaufgaben gab, genoss ich herrlich lange Sommer zwischen Küste und Brombeersträuchern auf der Insel.
Ich mochte es immer mehr, an der Küste zu sein, als im Inland. Das prägt mich und mein Leben bis heute.
Das Leben verändert sich manchmal durch kleine Schritte, einen mutigen Moment und vermeintliche Zufälle. Du bist mit 17 Jahren in die USA gegangen. Was brachte dich dazu?
Ich war sportbegeistert und als jugendlicher Leichtathlet in der neuen Nationalmannschaft. Dabei wurde viel von einem verlangt. Ich trainierte neun Mal in der Woche und dazu kamen die Wettkämpfe.
Meine Eltern unterstützten das, unter der Voraussetzung, dass die Noten in Ordnung sind. Ich würde sagen, es war eine Interpretationssache, ob das noch der Fall war. (Er fängt an, zu lachen.) Es gab auf jeden Fall nicht mehr viel Luft.
Ich war an einem Wochenende auf einer Meisterschaft in Ungarn und montags in der Schule. In der Biologieklasse entschied sich die Lehrerin dazu, uns mündlich zu prüfen, schlug das Klassenbuch auf und ging alphabetisch vor. Es waren nur drei andere Schüler vor mir und durch das Wochenende in Ungarn wusste ich nichts.
Während ich im Kopf meine Chancen abwägte, klopfte es an der Tür und es hieß: Wer sich für den USA-Austausch angemeldet hatte, sollte jetzt rauskommen. Ich fackelte nicht lang und sagte: „Ja, ich!“ Draußen blickten mich verwunderte Gesichter an und fragten, ob ich mich tatsächlich angemeldet hätte. Ich erklärte die Situation und die anderen versicherten, mich nicht auffliegen zu lassen. Allerdings konnte ich nicht allein im Gang stehen bleiben und sollte mich zu ihnen setzen.
Da saß ich also versehentlich und hörte mir alles an. Es klang großartig! Ich hatte keine Ahnung davon, dass es so etwas gab. Nachdem man sich auch noch anmelden konnte, fragte ich meine Eltern, wie es finanziell aussähe.
Anscheinend waren das Geld für die Flugtickets und mein monatliches Taschengeld – um der Familie nicht zur Last zu fallen – genau das, was sie an finanziellen Mitteln noch hatten. Aber sie sahen es als eine Ausbildungsmaßnahme und so landete ich in den USA, lebte in einer Familie und ging dort in die Schule.
Würdest du diese Erfahrung zu den Wendepunkten in deinem Leben zählen und gab es weitere?
Das war mit Sicherheit einer der wichtigsten Wendepunkte meines Lebens. Ich konnte bereits gut Englisch und dadurch wurde es zu einer Art zweiten Muttersprache. Hinzu kam die Erfahrung von Selbstständigkeit, an einem anderen Ort zu leben sowie meinen Horizont durch neue Blickwinkel zu erweitern.
Die zweite wichtige Wendung, ein paar Jahre später, verlief ähnlich. Es gibt eine Organisation namens IAESTE (International Association for the Exchange of Students for Technical Experience). Eine Vereinigung der technischen Universitäten der Welt, die nach Firmen suchen, die einen Praktikumsplatz für ausländische Studenten zur Verfügung stellen können. Damals gab es 20 Praktika für kroatische Studenten, die nach einer Rangliste aufgrund verschiedener Kriterien wie Sprachkenntnisse und dergleichen verteilt wurden.
Ich war nicht einmal in der Organisation, aber meine damalige Freundin. Und sie hatte im Büro einen Computer, an dem ich gerne zockte. Als sie die Praktika verteilten, blieb eines hängen, da diese Firma (damals HP Deutschland) unmögliche Anforderungen stellte. Alle anderen Studenten schauten sich das an und sagten Nein. Ich las 1.800 DM pro Monat (was meine mit Preisen ausgezeichneten Eltern als Journalisten nicht einmal zusammen im Monat verdienten) und dachte mir: „Das mach ich!“ Einen Monat würde es dauern, bis sie merkten, dass ich nicht konnte, was sie forderten, ich bekäme 1.800 DM und wieder zu Hause könnte ich mir meinen eigenen Computer kaufen. Ein perfekter Plan! Schließlich war der Platz aber anderweitig vergeben und ich erhielt eine Liste noch offener Praktika in der Firma. Ich suchte mir die Stelle heraus, bei der ich am wenigsten in Sachen Kenntnisse lügen musste (noch immer mit der Erwartung, dass ich nicht lange bleiben würde). Es zeigte sich dann, dass sie bei den Anforderungen zwar viel schrieben, ihnen aber nur wichtig war, wie schnell die Person es lernen konnte. Am Ende wollten sie mich übernehmen, ich beendete daraufhin mein Studium in Kroatien und hatte einen festen Job in der Tasche.
»Dieser Prozess,
die Verbundenheit zu Menschen
wieder zu finden, war wohl
die größte Herausforderung.«
Herausforderungen, denen wir gegenüberstehen, können ebenfalls prägend sein. Welches war deine größte Herausforderung?
Allgemein würde ich sagen, meine Wiedereingliederung in die normale Welt. Ich war in sehr jungen Jahren im Krieg. Das prägt einen sehr stark. Die Erfahrungen lösten eine Art Unfähigkeit, mich auszudrücken, aus. Zum einen wollte ich gar nicht darüber reden, zum anderen wusste ich auch nicht, wie. Die eigenen Schutzmechanismen zu durchbrechen, aus diesem sehr unschönen Zustand herauszufinden, war ein langer Prozess.
Wieder die Freude an allem zu finden. Sich für etwas begeistern zu können. Die Kommunikation wiederaufzunehmen, die einem gänzlich langweilig und sinnlos vorkommt. Nichts machte mehr Sinn.
Es gibt Situationen, die überlebst du, weil du einen Teil in dir, deine eigenen Gefühle abtötest. Du baust eine Art Schildkrötenpanzer um dich auf, der dich zwar schützt, der aber auch keinen Sonnenschein mehr durchlässt, der das Innere erhellt und wärmt.
Zurückzufinden, ist ein Balanceakt zwischen wieder anfangen, Gefühle zuzulassen, und gleichzeitig nicht zu viel von dem zu spüren, was du nicht spüren willst.
Vielleicht ist das auch mit ein Grund für meine sehr intensiven Reisen und Aktivitäten. Ich brauchte starke positive Impulse, um wieder Licht zu spüren, nachdem die anderen Impulse auch stark waren. Es sorgte auf jeden Fall auch dafür, dass ich Kroatien verließ und hier in Deutschland geblieben bin. Mit dem physischen Abstand konnte auch ein mentaler kommen. Es entstand ein Freiraum, in dem Verarbeitung stattfinden konnte.
Dieser Prozess, die Verbundenheit zu Menschen wieder zu finden, war wohl die größte Herausforderung.
Du hast deine intensiven Aktivitäten angesprochen. Hauptberuflich arbeitest du als Ingenieur und hast eine Art aktives Zweitleben mit ungewöhnlichen Reisen und Projekten. Wie kommst du zu diesem Lebensstil und wie koordinierst du alles?
Meine Arbeit in der Messtechnik stillt meinen Hunger für Zahlen und Technik. Sie enthält alles, was ich mir als Nerd für meinen Kopf gewünscht habe, wie komplexe Algorithmen und dergleichen. Aber das Leben ist zu kurz, um nur das zu machen.
Ich wollte etwas sehen, mich bewegen, Herausforderungen meistern, wie den Atlantik mit dem Segelboot zu überqueren, in die Antarktis zu segeln, Berge zu besteigen oder Wüsten zu erkunden. Das war mit meinem Job möglich, da diese Reisen zum einen nicht billig sind und zum anderen Zeit bedürfen.
Erst gruppierte ich meine Urlaube und Überstunden so, dass ich jedes zweite Jahr abenteuerlichere Reisen unternehmen konnte. Mittlerweile habe ich auch meine Stelle zeitlich reduziert.
Ich wollte nie in eine führende Position. Zum einen denke ich, kann ich technisch mehr leisten als führend und zum anderen sind eben diese Freiheiten dabei wesentlich geringer. Ein Augen öffnender Moment war für mich der, in dem ein hoch positionierter Manager bei uns mit Anfang 6o in Rente ging und erzählte, dass sein großer Traum immer war, über den Atlantik zu segeln, er es aufgrund der Arbeit aber nie machen konnte und jetzt die Zeit dafür hätte. Ich hatte das mit 30 Jahren gemacht und dachte mir nun: „Wer von uns ist wohl reicher?!“ (Sein Bankkonto war vermutlich sehr üppig gepolstert.)
Wie sähe eine persönliche Rangliste deiner Abenteuer aus?
Das ist schwierig. Ein Favorit ist auf jeden Fall die Reise in die Antarktis mit ihrer Vielfalt. Physisch war es eine Herausforderung, denn die Gewässer auf der Route, von Südamerika ausgehend, sind mit dem Segelboot schwierig. Es gibt den alten Seemannspruch: Unter dem 40. Breitengrad gibt es kein Gesetz mehr und unter dem 50. gibt es keinen Gott mehr.
Dieses Stück Erde ist das vom Menschen noch am wenigsten berührte. Ich war auf allen Kontinenten, habe viel Schönes gesehen, aber dort fühlte es sich wie eine andere Welt an. Zudem waren die Ereignisse und Begegnungen auf dieser Reise einzigartig.
Ein anderer Favorit ist die Weltreise zum zehnten Hochzeitstag mit meiner Frau. Dabei flogen wir unter anderem für ein paar Wochen nach Neuseeland. Das Land an sich ist so abwechslungsreich wie eine Welt im Kleinen und dass wir zusammen reisten, war auch etwas Besonderes, da ich sonst allein unterwegs war.
Ein anderes Mal ging es zum Kilimandscharo und auf dieser Reise habe ich in einem Kinderheim (Amani) in Moshi ausgeholfen, woraufhin ich einen Verein gründete, der dieses Heim unterstützt. Später war ich erneut für eine größere Aktion dort, um eine Art Biofarm für die Kinder zu bauen.
Was ich dort in meinem Rahmen machen kann, löst zwar nicht die globale Problematik, aber für ein paar Kinder ist es die Welt und das ist ein Anfang.
Nach Uganda führte mich unter anderem meine Leidenschaft für Baseball. Seit meiner Zeit in den USA spielte ich selbst aktiv, bis ich 40 war.
Im Baseball gibt es die „Little League“, eine Weltmeisterschaft für die Kleinen. Die besten Kinder einer Region gehen auf die regionalen Turniere und wer dort gewinnt, spielt am Ende des Jahres in den USA. In MEA (Middle East and Africa) waren meistens privilegierte amerikanische Kinder die Sieger, die in Saudi-Arabien lebten, da ihre Eltern dort arbeiteten. Doch 2011 gewann Uganda. Der Trainer dieser Kinder rotierte mit dem Equipment Tag für Tag, von Dorf zu Dorf, weil sie dort nichts hatten. Als diese Kinder gewannen, durften sie aber aufgrund von Schwierigkeiten mit dem Visum nicht in den USA spielen. Es war entsprechend enttäuschend für sie und über diese Geschichte wollte ich für die Amerikaner etwas schreiben. (The Hardball Times) Also fuhr ich nach Uganda und Kampala, um Zeit mit dem Trainer und den Kindern zu verbringen.
Ob Geschichten im Sportbereich, wie Baseball und Wintersport oder deine (Segel-)Reisen, was dich um die Welt treibt, fließt auch in dein Parallelleben als Autor. Was bedeutet Schreiben für dich?
Durch meine Eltern war die Welt des Journalismus keine fremde für mich und ich hatte von Anfang an auch einen Bezug zur Fotografie. Vor allem in der Phase, als mein Vater Journalist im Automobilbereich war und zu den Artikeln die passenden Bilder der Autos gemacht wurden. Sein Fotograf kam oft zu uns nach Hause und ich konnte mit in seine Dunkelkammer zum Entwickeln der Fotos. So hatte ich schon früh eine gewisse Ahnung von Fotos.
Ich hatte keine Scheu davor, zu fragen, und da ich die kroatische Sprache nicht vergessen wollte, fragte ich bei einer kroatischen Segelzeitschrift an, ob sie Interesse hätten, dass ich für sie etwas über die Reise in die Antarktis schriebe. Danach schrieb ich regelmäßig für Zeitschriften in Kroatien.
Es gab immer zwei Arten von Schreiben. Eine neutrale Form, ein Abbilden dessen, was ich erlebte, und die andere, die von innen kam. Letztere war auch ein Weg, um zu verarbeiten, was ich erlebte.
In deinem ersten Buch „A year and a lifetime“ lässt du das nun alles zusammenfließen und unterstützt damit wiederum auch das Kinderheim in Moshi?
Richtig, in meinem Buch sammle ich diese Sachen das erste Mal. „A year and a lifetime“ setzt sich aus zwei Teilen zusammen: einem Jahr, zwölf erfundenen Kurzgeschichten und aus einem zweiten Teil mit Blicken in Momente und Erlebnisse, die mich in meiner Lebenszeit bis heute berühren.
Im ersten Teil des Buches nimmt jede Kurzgeschichte Bezug auf etwas, das ich durch meine Reisen kenne, und dort platzierte ich jeweils eine erfundene Geschichte. Die Erste spielt in dem Kinderheim in Moshi und ein Teil des Gewinns eines jeden verkauften Buchs geht dorthin.
Was haben all die unterschiedlichen Dinge, die du per Zufall oder gezielt erlebt hast, mit dir gemacht?
Wir wachsen und verändern uns durch all die Impulse, die wir bekommen, durch die Menschen, mit denen wir uns umgeben. Ich glaube, die Reisen, die Abenteuer, die Interessen, meine Frau, das Leben an verschiedenen Orten haben mich zu dem gemacht, der ich jetzt bin. Ein anderer Weg hätte aus demselben Menschen, demselben genetischen Material vermutlich eine andere Person geformt.
Das ist eine Art Selffulfilling Prophecy: Man probiert etwas, es gefällt einem, dann verändert man sich in die Person, die so etwas macht, und diese Person macht auch etwas anderes. Das ist eine schrittweise Transformation.
Wenn ich dir die Möglichkeit geben könnte, einen Brief durch die Zeit an dein 18-jähriges Ich zu schreiben, was würdest du dir sagen wollen?
Mit 18 befinde ich mich in den USA. Damals fehlte mir die Demut, weil ich in vielem erfolgreich war. Die kam allerdings sehr schnell danach, in großen Mengen. Ich würde dem jungen Mann sagen, dass Weisheit mehr ist als Intelligenz.
Auf Kroatisch gibt es einen schönen Spruch: Ein Esel und ein Mann wissen mehr als ein Mann. Es bedeutet, dass man von jedem etwas lernen kann und jeder hat etwas Wertvolles beizutragen.
Ich würde mir schreiben: Sei offener für Input! Du bist nicht so großartig, wie du denkst. (Er lacht.) Und, halte durch! Es wird erst einmal dunkel werden, aber es wird auch wieder Tag.
Ein perfekter Tag beginnt mit …
Sonnenschein, der durch das Fenster hereinkommt.
Keine Reise mit …
zu viel Planung. Die Reise muss zu einem großen Teil ungeplant sein, sonst ist es keine gute Reise.
Am Ende meines Lebens möchte ich …
zurückblicken und sagen, dass ich so gut wie alles tat, um das Beste aus dem Leben zu machen.
Hast du ein Beispiel dazu, was du ohne Planung erlebt hast und worüber du noch immer lachst?
Mein erster Karaoke-Abend. Ich war mit einem Freund unterwegs in der Mongolei. Wir hatten uns ein Auto gemietet, besorgten Proviant und als wir zu einem Hotel kamen, das wir zuvor gesehen hatten, war es aufgrund einer Veranstaltung ausgebucht. Der Inhaber meinte, sein Cousin hätte auch etwas und wir könnten zu ihm gehen. Wir folgten seiner Empfehlung und sein Cousin war überrascht, dass wir die ganze Nacht buchen wollten. Das Etablissement war ein Puff. Dort gab es eine Bar und an der sangen wir mit den Hostessen Karaoke. Wäre alles geplant gewesen, wäre diese Geschichte nicht passiert.
Was setzt du mir auf meine To-do-Liste, was sollte ich wohl einmal machen?
In Kroatien segeln. Plus eine Bonus-Aufgabe, die ich dir gebe: einmal Nachtsegeln.
Vielen Dank für deine Zeit und deine Geschichte, Bojan!
Abenteurer • Autor • Fotograf • Ingenieur für Photonik • Nerd • Sportler
WER JA ZUM LEBEN SAGT, KANN WAS ERLEBEN.
Von dunklen Momenten bis zum antarktischen Sommer ohne Sonnenuntergang: Bojan Koprivica kann Geschichten von Licht und Schatten nicht nur erfinden, sondern aus dem eigenen Leben erzählen.
Ich erfuhr, wie er durch Zufall einen Weg nach Amerika entdeckte, wie die Verbundenheit zu Menschen zur Herausforderung wurde und wie er es schafft, nicht nur ein Leben zu leben.
Bojan, du bist in Kroatien geboren und aufgewachsen. Wie sieht deine liebste Erinnerung an deine Kindheit dort aus?
Die Zeit auf der Insel, bei meiner Oma und meinen Cousins, zählt zu meinen liebsten Erinnerungen. Dort verbrachte ich im Sommer fünf bis sechs Monate am Stück. Die Schulferien waren nicht über das ganze Jahr verteilt, sondern hauptsächlich in drei Monaten im Sommer gebündelt. Und da ich, wie andere Schüler auch, am Anfang und Ende je einen Monat anhängte, in denen meine Oma mir Schulaufgaben gab, genoss ich herrlich lange Sommer zwischen Küste und Brombeersträuchern auf der Insel.
Ich mochte es immer mehr, an der Küste zu sein, als im Inland. Das prägt mich und mein Leben bis heute.
Das Leben verändert sich manchmal durch kleine Schritte, einen mutigen Moment und vermeintliche Zufälle. Du bist mit 17 Jahren in die USA gegangen. Was brachte dich dazu?
Ich war sportbegeistert und als jugendlicher Leichtathlet in der neuen Nationalmannschaft. Dabei wurde viel von einem verlangt. Ich trainierte neun Mal in der Woche und dazu kamen die Wettkämpfe.
Meine Eltern unterstützten das, unter der Voraussetzung, dass die Noten in Ordnung sind. Ich würde sagen, es war eine Interpretationssache, ob das noch der Fall war. (Er fängt an, zu lachen.) Es gab auf jeden Fall nicht mehr viel Luft.
Ich war an einem Wochenende auf einer Meisterschaft in Ungarn und montags in der Schule. In der Biologieklasse entschied sich die Lehrerin dazu, uns mündlich zu prüfen, schlug das Klassenbuch auf und ging alphabetisch vor. Es waren nur drei andere Schüler vor mir und durch das Wochenende in Ungarn wusste ich nichts.
Während ich im Kopf meine Chancen abwägte, klopfte es an der Tür und es hieß: Wer sich für den USA-Austausch angemeldet hatte, sollte jetzt rauskommen. Ich fackelte nicht lang und sagte: „Ja, ich!“ Draußen blickten mich verwunderte Gesichter an und fragten, ob ich mich tatsächlich angemeldet hätte. Ich erklärte die Situation und die anderen versicherten, mich nicht auffliegen zu lassen. Allerdings konnte ich nicht allein im Gang stehen bleiben und sollte mich zu ihnen setzen.
Da saß ich also versehentlich und hörte mir alles an. Es klang großartig! Ich hatte keine Ahnung davon, dass es so etwas gab. Nachdem man sich auch noch anmelden konnte, fragte ich meine Eltern, wie es finanziell aussähe.
Anscheinend waren das Geld für die Flugtickets und mein monatliches Taschengeld – um der Familie nicht zur Last zu fallen – genau das, was sie an finanziellen Mitteln noch hatten. Aber sie sahen es als eine Ausbildungsmaßnahme und so landete ich in den USA, lebte in einer Familie und ging dort in die Schule.
Würdest du diese Erfahrung zu den Wendepunkten in deinem Leben zählen und gab es weitere?
Das war mit Sicherheit einer der wichtigsten Wendepunkte meines Lebens. Ich konnte bereits gut Englisch und dadurch wurde es zu einer Art zweiten Muttersprache. Hinzu kam die Erfahrung von Selbstständigkeit, an einem anderen Ort zu leben sowie meinen Horizont durch neue Blickwinkel zu erweitern.
Die zweite wichtige Wendung, ein paar Jahre später, verlief ähnlich. Es gibt eine Organisation namens IAESTE (International Association for the Exchange of Students for Technical Experience). Eine Vereinigung der technischen Universitäten der Welt, die nach Firmen suchen, die einen Praktikumsplatz für ausländische Studenten zur Verfügung stellen können. Damals gab es 20 Praktika für kroatische Studenten, die nach einer Rangliste aufgrund verschiedener Kriterien wie Sprachkenntnisse und dergleichen verteilt wurden.
Ich war nicht einmal in der Organisation, aber meine damalige Freundin. Und sie hatte im Büro einen Computer, an dem ich gerne zockte. Als sie die Praktika verteilten, blieb eines hängen, da diese Firma (damals HP Deutschland) unmögliche Anforderungen stellte. Alle anderen Studenten schauten sich das an und sagten Nein. Ich las 1.800 DM pro Monat (was meine mit Preisen ausgezeichneten Eltern als Journalisten nicht einmal zusammen im Monat verdienten) und dachte mir: „Das mach ich!“ Einen Monat würde es dauern, bis sie merkten, dass ich nicht konnte, was sie forderten, ich bekäme 1.800 DM und wieder zu Hause könnte ich mir meinen eigenen Computer kaufen. Ein perfekter Plan! Schließlich war der Platz aber anderweitig vergeben und ich erhielt eine Liste noch offener Praktika in der Firma. Ich suchte mir die Stelle heraus, bei der ich am wenigsten in Sachen Kenntnisse lügen musste (noch immer mit der Erwartung, dass ich nicht lange bleiben würde). Es zeigte sich dann, dass sie bei den Anforderungen zwar viel schrieben, ihnen aber nur wichtig war, wie schnell die Person es lernen konnte. Am Ende wollten sie mich übernehmen, ich beendete daraufhin mein Studium in Kroatien und hatte einen festen Job in der Tasche.
»Dieser Prozess,
die Verbundenheit zu Menschen
wieder zu finden, war wohl
die größte Herausforderung.«
Herausforderungen, denen wir gegenüberstehen, können ebenfalls prägend sein. Welches war deine größte Herausforderung?
Allgemein würde ich sagen, meine Wiedereingliederung in die normale Welt. Ich war in sehr jungen Jahren im Krieg. Das prägt einen sehr stark. Die Erfahrungen lösten eine Art Unfähigkeit, mich auszudrücken, aus. Zum einen wollte ich gar nicht darüber reden, zum anderen wusste ich auch nicht, wie. Die eigenen Schutzmechanismen zu durchbrechen, aus diesem sehr unschönen Zustand herauszufinden, war ein langer Prozess.
Wieder die Freude an allem zu finden. Sich für etwas begeistern zu können. Die Kommunikation wiederaufzunehmen, die einem gänzlich langweilig und sinnlos vorkommt. Nichts machte mehr Sinn.
Es gibt Situationen, die überlebst du, weil du einen Teil in dir, deine eigenen Gefühle abtötest. Du baust eine Art Schildkrötenpanzer um dich auf, der dich zwar schützt, der aber auch keinen Sonnenschein mehr durchlässt, der das Innere erhellt und wärmt.
Zurückzufinden, ist ein Balanceakt zwischen wieder anfangen, Gefühle zuzulassen, und gleichzeitig nicht zu viel von dem zu spüren, was du nicht spüren willst.
Vielleicht ist das auch mit ein Grund für meine sehr intensiven Reisen und Aktivitäten. Ich brauchte starke positive Impulse, um wieder Licht zu spüren, nachdem die anderen Impulse auch stark waren. Es sorgte auf jeden Fall auch dafür, dass ich Kroatien verließ und hier in Deutschland geblieben bin. Mit dem physischen Abstand konnte auch ein mentaler kommen. Es entstand ein Freiraum, in dem Verarbeitung stattfinden konnte.
Dieser Prozess, die Verbundenheit zu Menschen wieder zu finden, war wohl die größte Herausforderung.
Du hast deine intensiven Aktivitäten angesprochen. Hauptberuflich arbeitest du als Ingenieur und hast eine Art aktives Zweitleben mit ungewöhnlichen Reisen und Projekten. Wie kommst du zu diesem Lebensstil und wie koordinierst du alles?
Meine Arbeit in der Messtechnik stillt meinen Hunger für Zahlen und Technik. Sie enthält alles, was ich mir als Nerd für meinen Kopf gewünscht habe, wie komplexe Algorithmen und dergleichen. Aber das Leben ist zu kurz, um nur das zu machen.
Ich wollte etwas sehen, mich bewegen, Herausforderungen meistern, wie den Atlantik mit dem Segelboot zu überqueren, in die Antarktis zu segeln, Berge zu besteigen oder Wüsten zu erkunden. Das war mit meinem Job möglich, da diese Reisen zum einen nicht billig sind und zum anderen Zeit bedürfen.
Erst gruppierte ich meine Urlaube und Überstunden so, dass ich jedes zweite Jahr abenteuerlichere Reisen unternehmen konnte. Mittlerweile habe ich auch meine Stelle zeitlich reduziert.
Ich wollte nie in eine führende Position. Zum einen denke ich, kann ich technisch mehr leisten als führend und zum anderen sind eben diese Freiheiten dabei wesentlich geringer. Ein Augen öffnender Moment war für mich der, in dem ein hoch positionierter Manager bei uns mit Anfang 6o in Rente ging und erzählte, dass sein großer Traum immer war, über den Atlantik zu segeln, er es aufgrund der Arbeit aber nie machen konnte und jetzt die Zeit dafür hätte. Ich hatte das mit 30 Jahren gemacht und dachte mir nun: „Wer von uns ist wohl reicher?!“ (Sein Bankkonto war vermutlich sehr üppig gepolstert.)
Wie sähe eine persönliche Rangliste deiner Abenteuer aus?
Das ist schwierig. Ein Favorit ist auf jeden Fall die Reise in die Antarktis mit ihrer Vielfalt. Physisch war es eine Herausforderung, denn die Gewässer auf der Route, von Südamerika ausgehend, sind mit dem Segelboot schwierig. Es gibt den alten Seemannspruch: Unter dem 40. Breitengrad gibt es kein Gesetz mehr und unter dem 50. gibt es keinen Gott mehr.
Dieses Stück Erde ist das vom Menschen noch am wenigsten berührte. Ich war auf allen Kontinenten, habe viel Schönes gesehen, aber dort fühlte es sich wie eine andere Welt an. Zudem waren die Ereignisse und Begegnungen auf dieser Reise einzigartig.
Ein anderer Favorit ist die Weltreise zum zehnten Hochzeitstag mit meiner Frau. Dabei flogen wir unter anderem für ein paar Wochen nach Neuseeland. Das Land an sich ist so abwechslungsreich wie eine Welt im Kleinen und dass wir zusammen reisten, war auch etwas Besonderes, da ich sonst allein unterwegs war.
Ein anderes Mal ging es zum Kilimandscharo und auf dieser Reise habe ich in einem Kinderheim (Amani) in Moshi ausgeholfen, woraufhin ich einen Verein gründete, der dieses Heim unterstützt. Später war ich erneut für eine größere Aktion dort, um eine Art Biofarm für die Kinder zu bauen.
Was ich dort in meinem Rahmen machen kann, löst zwar nicht die globale Problematik, aber für ein paar Kinder ist es die Welt und das ist ein Anfang.
Nach Uganda führte mich unter anderem meine Leidenschaft für Baseball. Seit meiner Zeit in den USA spielte ich selbst aktiv, bis ich 40 war.
Im Baseball gibt es die „Little League“, eine Weltmeisterschaft für die Kleinen. Die besten Kinder einer Region gehen auf die regionalen Turniere und wer dort gewinnt, spielt am Ende des Jahres in den USA. In MEA (Middle East and Africa) waren meistens privilegierte amerikanische Kinder die Sieger, die in Saudi-Arabien lebten, da ihre Eltern dort arbeiteten. Doch 2011 gewann Uganda. Der Trainer dieser Kinder rotierte mit dem Equipment Tag für Tag, von Dorf zu Dorf, weil sie dort nichts hatten. Als diese Kinder gewannen, durften sie aber aufgrund von Schwierigkeiten mit dem Visum nicht in den USA spielen. Es war entsprechend enttäuschend für sie und über diese Geschichte wollte ich für die Amerikaner etwas schreiben. (The Hardball Times) Also fuhr ich nach Uganda und Kampala, um Zeit mit dem Trainer und den Kindern zu verbringen.
Ob Geschichten im Sportbereich, wie Baseball und Wintersport oder deine (Segel-)Reisen, was dich um die Welt treibt, fließt auch in dein Parallelleben als Autor. Was bedeutet Schreiben für dich?
Durch meine Eltern war die Welt des Journalismus keine fremde für mich und ich hatte von Anfang an auch einen Bezug zur Fotografie. Vor allem in der Phase, als mein Vater Journalist im Automobilbereich war und zu den Artikeln die passenden Bilder der Autos gemacht wurden. Sein Fotograf kam oft zu uns nach Hause und ich konnte mit in seine Dunkelkammer zum Entwickeln der Fotos. So hatte ich schon früh eine gewisse Ahnung von Fotos.
Ich hatte keine Scheu davor, zu fragen, und da ich die kroatische Sprache nicht vergessen wollte, fragte ich bei einer kroatischen Segelzeitschrift an, ob sie Interesse hätten, dass ich für sie etwas über die Reise in die Antarktis schriebe. Danach schrieb ich regelmäßig für Zeitschriften in Kroatien.
Es gab immer zwei Arten von Schreiben. Eine neutrale Form, ein Abbilden dessen, was ich erlebte, und die andere, die von innen kam. Letztere war auch ein Weg, um zu verarbeiten, was ich erlebte.
In deinem ersten Buch „A year and a lifetime“ lässt du das nun alles zusammenfließen und unterstützt damit wiederum auch das Kinderheim in Moshi?
Richtig, in meinem Buch sammle ich diese Sachen das erste Mal. „A year and a lifetime“ setzt sich aus zwei Teilen zusammen: einem Jahr, zwölf erfundenen Kurzgeschichten und aus einem zweiten Teil mit Blicken in Momente und Erlebnisse, die mich in meiner Lebenszeit bis heute berühren.
Im ersten Teil des Buches nimmt jede Kurzgeschichte Bezug auf etwas, das ich durch meine Reisen kenne, und dort platzierte ich jeweils eine erfundene Geschichte. Die Erste spielt in dem Kinderheim in Moshi und ein Teil des Gewinns eines jeden verkauften Buchs geht dorthin.
Was haben all die unterschiedlichen Dinge, die du per Zufall oder gezielt erlebt hast, mit dir gemacht?
Wir wachsen und verändern uns durch all die Impulse, die wir bekommen, durch die Menschen, mit denen wir uns umgeben. Ich glaube, die Reisen, die Abenteuer, die Interessen, meine Frau, das Leben an verschiedenen Orten haben mich zu dem gemacht, der ich jetzt bin. Ein anderer Weg hätte aus demselben Menschen, demselben genetischen Material vermutlich eine andere Person geformt.
Das ist eine Art Selffulfilling Prophecy: Man probiert etwas, es gefällt einem, dann verändert man sich in die Person, die so etwas macht, und diese Person macht auch etwas anderes. Das ist eine schrittweise Transformation.
Wenn ich dir die Möglichkeit geben könnte, einen Brief durch die Zeit an dein 18-jähriges Ich zu schreiben, was würdest du dir sagen wollen?
Mit 18 befinde ich mich in den USA. Damals fehlte mir die Demut, weil ich in vielem erfolgreich war. Die kam allerdings sehr schnell danach, in großen Mengen. Ich würde dem jungen Mann sagen, dass Weisheit mehr ist als Intelligenz.
Auf Kroatisch gibt es einen schönen Spruch: Ein Esel und ein Mann wissen mehr als ein Mann. Es bedeutet, dass man von jedem etwas lernen kann und jeder hat etwas Wertvolles beizutragen.
Ich würde mir schreiben: Sei offener für Input! Du bist nicht so großartig, wie du denkst. (Er lacht.) Und, halte durch! Es wird erst einmal dunkel werden, aber es wird auch wieder Tag.
Ein perfekter Tag beginnt mit …
Sonnenschein, der durch das Fenster hereinkommt.
Keine Reise mit …
zu viel Planung. Die Reise muss zu einem großen Teil ungeplant sein, sonst ist es keine gute Reise.
Am Ende meines Lebens möchte ich …
zurückblicken und sagen, dass ich so gut wie alles tat, um das Beste aus dem Leben zu machen.
Hast du ein Beispiel dazu, was du ohne Planung erlebt hast und worüber du noch immer lachst?
Mein erster Karaoke-Abend. Ich war mit einem Freund unterwegs in der Mongolei. Wir hatten uns ein Auto gemietet, besorgten Proviant und als wir zu einem Hotel kamen, das wir zuvor gesehen hatten, war es aufgrund einer Veranstaltung ausgebucht. Der Inhaber meinte, sein Cousin hätte auch etwas und wir könnten zu ihm gehen. Wir folgten seiner Empfehlung und sein Cousin war überrascht, dass wir die ganze Nacht buchen wollten. Das Etablissement war ein Puff. Dort gab es eine Bar und an der sangen wir mit den Hostessen Karaoke. Wäre alles geplant gewesen, wäre diese Geschichte nicht passiert.
Was setzt du mir auf meine To-do-Liste, was sollte ich wohl einmal machen?
In Kroatien segeln. Plus eine Bonus-Aufgabe, die ich dir gebe: einmal Nachtsegeln.
Vielen Dank für deine Zeit und deine Geschichte, Bojan!
Abenteurer • Autor • Fotograf • Ingenieur für Photonik • Nerd • Sportler
WER JA ZUM LEBEN SAGT, KANN WAS ERLEBEN.
Von dunklen Momenten bis zum antarktischen Sommer ohne Sonnenuntergang: Bojan Koprivica kann Geschichten von Licht und Schatten nicht nur erfinden, sondern aus dem eigenen Leben erzählen.
Ich erfuhr, wie er durch Zufall einen Weg nach Amerika entdeckte, wie die Verbundenheit zu Menschen zur Herausforderung wurde und wie er es schafft, nicht nur ein Leben zu leben.
Bojan, du bist in Kroatien geboren und aufgewachsen. Wie sieht deine liebste Erinnerung an deine Kindheit dort aus?
Die Zeit auf der Insel, bei meiner Oma und meinen Cousins, zählt zu meinen liebsten Erinnerungen. Dort verbrachte ich im Sommer fünf bis sechs Monate am Stück. Die Schulferien waren nicht über das ganze Jahr verteilt, sondern hauptsächlich in drei Monaten im Sommer gebündelt. Und da ich, wie andere Schüler auch, am Anfang und Ende je einen Monat anhängte, in denen meine Oma mir Schulaufgaben gab, genoss ich herrlich lange Sommer zwischen Küste und Brombeersträuchern auf der Insel.
Ich mochte es immer mehr, an der Küste zu sein, als im Inland. Das prägt mich und mein Leben bis heute.
Das Leben verändert sich manchmal durch kleine Schritte, einen mutigen Moment und vermeintliche Zufälle. Du bist mit 17 Jahren in die USA gegangen. Was brachte dich dazu?
Ich war sportbegeistert und als jugendlicher Leichtathlet in der neuen Nationalmannschaft. Dabei wurde viel von einem verlangt. Ich trainierte neun Mal in der Woche und dazu kamen die Wettkämpfe.
Meine Eltern unterstützten das, unter der Voraussetzung, dass die Noten in Ordnung sind. Ich würde sagen, es war eine Interpretationssache, ob das noch der Fall war. (Er fängt an, zu lachen.) Es gab auf jeden Fall nicht mehr viel Luft.
Ich war an einem Wochenende auf einer Meisterschaft in Ungarn und montags in der Schule. In der Biologieklasse entschied sich die Lehrerin dazu, uns mündlich zu prüfen, schlug das Klassenbuch auf und ging alphabetisch vor. Es waren nur drei andere Schüler vor mir und durch das Wochenende in Ungarn wusste ich nichts.
Während ich im Kopf meine Chancen abwägte, klopfte es an der Tür und es hieß: Wer sich für den USA-Austausch angemeldet hatte, sollte jetzt rauskommen. Ich fackelte nicht lang und sagte: „Ja, ich!“ Draußen blickten mich verwunderte Gesichter an und fragten, ob ich mich tatsächlich angemeldet hätte. Ich erklärte die Situation und die anderen versicherten, mich nicht auffliegen zu lassen. Allerdings konnte ich nicht allein im Gang stehen bleiben und sollte mich zu ihnen setzen.
Da saß ich also versehentlich und hörte mir alles an. Es klang großartig! Ich hatte keine Ahnung davon, dass es so etwas gab. Nachdem man sich auch noch anmelden konnte, fragte ich meine Eltern, wie es finanziell aussähe.
Anscheinend waren das Geld für die Flugtickets und mein monatliches Taschengeld – um der Familie nicht zur Last zu fallen – genau das, was sie an finanziellen Mitteln noch hatten. Aber sie sahen es als eine Ausbildungsmaßnahme und so landete ich in den USA, lebte in einer Familie und ging dort in die Schule.
Würdest du diese Erfahrung zu den Wendepunkten in deinem Leben zählen und gab es weitere?
Das war mit Sicherheit einer der wichtigsten Wendepunkte meines Lebens. Ich konnte bereits gut Englisch und dadurch wurde es zu einer Art zweiten Muttersprache. Hinzu kam die Erfahrung von Selbstständigkeit, an einem anderen Ort zu leben sowie meinen Horizont durch neue Blickwinkel zu erweitern.
Die zweite wichtige Wendung, ein paar Jahre später, verlief ähnlich. Es gibt eine Organisation namens IAESTE (International Association for the Exchange of Students for Technical Experience). Eine Vereinigung der technischen Universitäten der Welt, die nach Firmen suchen, die einen Praktikumsplatz für ausländische Studenten zur Verfügung stellen können. Damals gab es 20 Praktika für kroatische Studenten, die nach einer Rangliste aufgrund verschiedener Kriterien wie Sprachkenntnisse und dergleichen verteilt wurden.
Ich war nicht einmal in der Organisation, aber meine damalige Freundin. Und sie hatte im Büro einen Computer, an dem ich gerne zockte. Als sie die Praktika verteilten, blieb eines hängen, da diese Firma (damals HP Deutschland) unmögliche Anforderungen stellte. Alle anderen Studenten schauten sich das an und sagten Nein. Ich las 1.800 DM pro Monat (was meine mit Preisen ausgezeichneten Eltern als Journalisten nicht einmal zusammen im Monat verdienten) und dachte mir: „Das mach ich!“ Einen Monat würde es dauern, bis sie merkten, dass ich nicht konnte, was sie forderten, ich bekäme 1.800 DM und wieder zu Hause könnte ich mir meinen eigenen Computer kaufen. Ein perfekter Plan! Schließlich war der Platz aber anderweitig vergeben und ich erhielt eine Liste noch offener Praktika in der Firma. Ich suchte mir die Stelle heraus, bei der ich am wenigsten in Sachen Kenntnisse lügen musste (noch immer mit der Erwartung, dass ich nicht lange bleiben würde). Es zeigte sich dann, dass sie bei den Anforderungen zwar viel schrieben, ihnen aber nur wichtig war, wie schnell die Person es lernen konnte. Am Ende wollten sie mich übernehmen, ich beendete daraufhin mein Studium in Kroatien und hatte einen festen Job in der Tasche.
»Dieser Prozess,
die Verbundenheit zu Menschen
wieder zu finden, war wohl
die größte Herausforderung.«
Herausforderungen, denen wir gegenüberstehen, können ebenfalls prägend sein. Welches war deine größte Herausforderung?
Allgemein würde ich sagen, meine Wiedereingliederung in die normale Welt. Ich war in sehr jungen Jahren im Krieg. Das prägt einen sehr stark. Die Erfahrungen lösten eine Art Unfähigkeit, mich auszudrücken, aus. Zum einen wollte ich gar nicht darüber reden, zum anderen wusste ich auch nicht, wie. Die eigenen Schutzmechanismen zu durchbrechen, aus diesem sehr unschönen Zustand herauszufinden, war ein langer Prozess.
Wieder die Freude an allem zu finden. Sich für etwas begeistern zu können. Die Kommunikation wiederaufzunehmen, die einem gänzlich langweilig und sinnlos vorkommt. Nichts machte mehr Sinn.
Es gibt Situationen, die überlebst du, weil du einen Teil in dir, deine eigenen Gefühle abtötest. Du baust eine Art Schildkrötenpanzer um dich auf, der dich zwar schützt, der aber auch keinen Sonnenschein mehr durchlässt, der das Innere erhellt und wärmt.
Zurückzufinden, ist ein Balanceakt zwischen wieder anfangen, Gefühle zuzulassen, und gleichzeitig nicht zu viel von dem zu spüren, was du nicht spüren willst.
Vielleicht ist das auch mit ein Grund für meine sehr intensiven Reisen und Aktivitäten. Ich brauchte starke positive Impulse, um wieder Licht zu spüren, nachdem die anderen Impulse auch stark waren. Es sorgte auf jeden Fall auch dafür, dass ich Kroatien verließ und hier in Deutschland geblieben bin. Mit dem physischen Abstand konnte auch ein mentaler kommen. Es entstand ein Freiraum, in dem Verarbeitung stattfinden konnte.
Dieser Prozess, die Verbundenheit zu Menschen wieder zu finden, war wohl die größte Herausforderung.
Du hast deine intensiven Aktivitäten angesprochen. Hauptberuflich arbeitest du als Ingenieur und hast eine Art aktives Zweitleben mit ungewöhnlichen Reisen und Projekten. Wie kommst du zu diesem Lebensstil und wie koordinierst du alles?
Meine Arbeit in der Messtechnik stillt meinen Hunger für Zahlen und Technik. Sie enthält alles, was ich mir als Nerd für meinen Kopf gewünscht habe, wie komplexe Algorithmen und dergleichen. Aber das Leben ist zu kurz, um nur das zu machen.
Ich wollte etwas sehen, mich bewegen, Herausforderungen meistern, wie den Atlantik mit dem Segelboot zu überqueren, in die Antarktis zu segeln, Berge zu besteigen oder Wüsten zu erkunden. Das war mit meinem Job möglich, da diese Reisen zum einen nicht billig sind und zum anderen Zeit bedürfen.
Erst gruppierte ich meine Urlaube und Überstunden so, dass ich jedes zweite Jahr abenteuerlichere Reisen unternehmen konnte. Mittlerweile habe ich auch meine Stelle zeitlich reduziert.
Ich wollte nie in eine führende Position. Zum einen denke ich, kann ich technisch mehr leisten als führend und zum anderen sind eben diese Freiheiten dabei wesentlich geringer. Ein Augen öffnender Moment war für mich der, in dem ein hoch positionierter Manager bei uns mit Anfang 6o in Rente ging und erzählte, dass sein großer Traum immer war, über den Atlantik zu segeln, er es aufgrund der Arbeit aber nie machen konnte und jetzt die Zeit dafür hätte. Ich hatte das mit 30 Jahren gemacht und dachte mir nun: „Wer von uns ist wohl reicher?!“ (Sein Bankkonto war vermutlich sehr üppig gepolstert.)
Wie sähe eine persönliche Rangliste deiner Abenteuer aus?
Das ist schwierig. Ein Favorit ist auf jeden Fall die Reise in die Antarktis mit ihrer Vielfalt. Physisch war es eine Herausforderung, denn die Gewässer auf der Route, von Südamerika ausgehend, sind mit dem Segelboot schwierig. Es gibt den alten Seemannspruch: Unter dem 40. Breitengrad gibt es kein Gesetz mehr und unter dem 50. gibt es keinen Gott mehr.
Dieses Stück Erde ist das vom Menschen noch am wenigsten berührte. Ich war auf allen Kontinenten, habe viel Schönes gesehen, aber dort fühlte es sich wie eine andere Welt an. Zudem waren die Ereignisse und Begegnungen auf dieser Reise einzigartig.
Ein anderer Favorit ist die Weltreise zum zehnten Hochzeitstag mit meiner Frau. Dabei flogen wir unter anderem für ein paar Wochen nach Neuseeland. Das Land an sich ist so abwechslungsreich wie eine Welt im Kleinen und dass wir zusammen reisten, war auch etwas Besonderes, da ich sonst allein unterwegs war.
Ein anderes Mal ging es zum Kilimandscharo und auf dieser Reise habe ich in einem Kinderheim (Amani) in Moshi ausgeholfen, woraufhin ich einen Verein gründete, der dieses Heim unterstützt. Später war ich erneut für eine größere Aktion dort, um eine Art Biofarm für die Kinder zu bauen.
Was ich dort in meinem Rahmen machen kann, löst zwar nicht die globale Problematik, aber für ein paar Kinder ist es die Welt und das ist ein Anfang.
Nach Uganda führte mich unter anderem meine Leidenschaft für Baseball. Seit meiner Zeit in den USA spielte ich selbst aktiv, bis ich 40 war.
Im Baseball gibt es die „Little League“, eine Weltmeisterschaft für die Kleinen. Die besten Kinder einer Region gehen auf die regionalen Turniere und wer dort gewinnt, spielt am Ende des Jahres in den USA. In MEA (Middle East and Africa) waren meistens privilegierte amerikanische Kinder die Sieger, die in Saudi-Arabien lebten, da ihre Eltern dort arbeiteten. Doch 2011 gewann Uganda. Der Trainer dieser Kinder rotierte mit dem Equipment Tag für Tag, von Dorf zu Dorf, weil sie dort nichts hatten. Als diese Kinder gewannen, durften sie aber aufgrund von Schwierigkeiten mit dem Visum nicht in den USA spielen. Es war entsprechend enttäuschend für sie und über diese Geschichte wollte ich für die Amerikaner etwas schreiben. (The Hardball Times) Also fuhr ich nach Uganda und Kampala, um Zeit mit dem Trainer und den Kindern zu verbringen.
Ob Geschichten im Sportbereich, wie Baseball und Wintersport oder deine (Segel-)Reisen, was dich um die Welt treibt, fließt auch in dein Parallelleben als Autor. Was bedeutet Schreiben für dich?
Durch meine Eltern war die Welt des Journalismus keine fremde für mich und ich hatte von Anfang an auch einen Bezug zur Fotografie. Vor allem in der Phase, als mein Vater Journalist im Automobilbereich war und zu den Artikeln die passenden Bilder der Autos gemacht wurden. Sein Fotograf kam oft zu uns nach Hause und ich konnte mit in seine Dunkelkammer zum Entwickeln der Fotos. So hatte ich schon früh eine gewisse Ahnung von Fotos.
Ich hatte keine Scheu davor, zu fragen, und da ich die kroatische Sprache nicht vergessen wollte, fragte ich bei einer kroatischen Segelzeitschrift an, ob sie Interesse hätten, dass ich für sie etwas über die Reise in die Antarktis schriebe. Danach schrieb ich regelmäßig für Zeitschriften in Kroatien.
Es gab immer zwei Arten von Schreiben. Eine neutrale Form, ein Abbilden dessen, was ich erlebte, und die andere, die von innen kam. Letztere war auch ein Weg, um zu verarbeiten, was ich erlebte.
In deinem ersten Buch „A year and a lifetime“ lässt du das nun alles zusammenfließen und unterstützt damit wiederum auch das Kinderheim in Moshi?
Richtig, in meinem Buch sammle ich diese Sachen das erste Mal. „A year and a lifetime“ setzt sich aus zwei Teilen zusammen: einem Jahr, zwölf erfundenen Kurzgeschichten und aus einem zweiten Teil mit Blicken in Momente und Erlebnisse, die mich in meiner Lebenszeit bis heute berühren.
Im ersten Teil des Buches nimmt jede Kurzgeschichte Bezug auf etwas, das ich durch meine Reisen kenne, und dort platzierte ich jeweils eine erfundene Geschichte. Die Erste spielt in dem Kinderheim in Moshi und ein Teil des Gewinns eines jeden verkauften Buchs geht dorthin.
Was haben all die unterschiedlichen Dinge, die du per Zufall oder gezielt erlebt hast, mit dir gemacht?
Wir wachsen und verändern uns durch all die Impulse, die wir bekommen, durch die Menschen, mit denen wir uns umgeben. Ich glaube, die Reisen, die Abenteuer, die Interessen, meine Frau, das Leben an verschiedenen Orten haben mich zu dem gemacht, der ich jetzt bin. Ein anderer Weg hätte aus demselben Menschen, demselben genetischen Material vermutlich eine andere Person geformt.
Das ist eine Art Selffulfilling Prophecy: Man probiert etwas, es gefällt einem, dann verändert man sich in die Person, die so etwas macht, und diese Person macht auch etwas anderes. Das ist eine schrittweise Transformation.
Wenn ich dir die Möglichkeit geben könnte, einen Brief durch die Zeit an dein 18-jähriges Ich zu schreiben, was würdest du dir sagen wollen?
Mit 18 befinde ich mich in den USA. Damals fehlte mir die Demut, weil ich in vielem erfolgreich war. Die kam allerdings sehr schnell danach, in großen Mengen. Ich würde dem jungen Mann sagen, dass Weisheit mehr ist als Intelligenz.
Auf Kroatisch gibt es einen schönen Spruch: Ein Esel und ein Mann wissen mehr als ein Mann. Es bedeutet, dass man von jedem etwas lernen kann und jeder hat etwas Wertvolles beizutragen.
Ich würde mir schreiben: Sei offener für Input! Du bist nicht so großartig, wie du denkst. (Er lacht.) Und, halte durch! Es wird erst einmal dunkel werden, aber es wird auch wieder Tag.
Ein perfekter Tag beginnt mit …
Sonnenschein, der durch das Fenster hereinkommt.
Keine Reise mit …
zu viel Planung. Die Reise muss zu einem großen Teil ungeplant sein, sonst ist es keine gute Reise.
Am Ende meines Lebens möchte ich …
zurückblicken und sagen, dass ich so gut wie alles tat, um das Beste aus dem Leben zu machen.
Hast du ein Beispiel dazu, was du ohne Planung erlebt hast und worüber du noch immer lachst?
Mein erster Karaoke-Abend. Ich war mit einem Freund unterwegs in der Mongolei. Wir hatten uns ein Auto gemietet, besorgten Proviant und als wir zu einem Hotel kamen, das wir zuvor gesehen hatten, war es aufgrund einer Veranstaltung ausgebucht. Der Inhaber meinte, sein Cousin hätte auch etwas und wir könnten zu ihm gehen. Wir folgten seiner Empfehlung und sein Cousin war überrascht, dass wir die ganze Nacht buchen wollten. Das Etablissement war ein Puff. Dort gab es eine Bar und an der sangen wir mit den Hostessen Karaoke. Wäre alles geplant gewesen, wäre diese Geschichte nicht passiert.
Was setzt du mir auf meine To-do-Liste, was sollte ich wohl einmal machen?
In Kroatien segeln. Plus eine Bonus-Aufgabe, die ich dir gebe: einmal Nachtsegeln.
Vielen Dank für deine Zeit und deine Geschichte, Bojan!
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