Wenn jemand sagt: „spring aus einem Flugzeug“, machst du das dann auch? Ich, offensichtlich ja. Nachdem Matthias Dolderer im Interview auf meine stets letzte Frage, was ich wohl mal machen sollte, einen Fallschirmsprung auf meine Liste setzte, fingen meine Abneigung gegen Höhe und ich an zu lachen und schlugen ein. Schließlich antwortete ein Interview zuvor Alexander Seeboth auf selbige Frage, ich solle etwas machen, was mir widerstrebt, aber emotional ein bleibendes Erlebnis verschafft.
Zum Sonnenaufgang geht es am Sonntagmorgen für mich los, zweieinhalb Stunden freie Fahrt nach Tannheim zu den Flying Bones. Nomen est omen. Bei meinem ersten Besuch auf dem Flugplatz Tannheim für das Interview sehe ich das Schild „Zu den Flying Bones“ und vermute der Name gründet auf reinem Humor, was bei mir genau ins Schwarze trifft. Wie sich jedoch herausstellt, ist die Namensgebung, durch Tanja und Sascha Bone, doch einen Hauch bodenständiger als gedacht.
Angekommen sehe ich emsiges Treiben bei den Fallschirmspringern. Nachdem alle nötigen Formalitäten abgehakt sind und das Video mit den Instruktionen zu Ende ist, lasse ich den Tanz von Aufrufen, wann der nächste Flug startet, und routinierten Handgriffen derer, die Fallschirme packen und die Leute für ihren Tandemsprung vorbereiten, auf mich wirken, bis es heißt: „Conny, ich werde dich jetzt anziehen“. Meine Größe abschätzen, in den Overall steigen, Gurtzeug anlegen und dabei ein bisschen Smalltalk. Offengestanden bin ich mir nicht ganz sicher, in welche Richtung ich Christians ersten Blick interpretieren soll, nachdem ich auf seine Frage, warum ich heute springe, antworte, dass ich damit meine Aufgabe erfülle. Aber etwas verrückt ist hier doch jeder auf seine Weise.
Von Kopf bis Fuß bin ich nun mit jedem Gurt auf´s Fallen eingestellt.
Draußen begrüßt mich der mir zugeteilte Tandem-Master und ich denke mir: „Yes!“. Australisch, fröhliche Gelassenheit in Form von Max. Mein ursprünglicher Volbeat-Song, den ich während des Fluges auf Absprunghöhe Soundtrack-artig im Kopf abspielen will, ist passé. Stattdessen: Airbourne. Mit einem Tasmanischen Skydeviliver durch das Wolkenmeer surfen, der Sprungerfahrung auf drei Kontinenten mitbringt? Let´s do it!
Ein zweiter Check meines Gurtzeugs und es geht Richtung Flieger. Auf dem Weg nach oben bin ich zwar nicht völlig gelassen, aber weniger angespannt, als erwartet. Ich kann das Meer aus weißen Wolken um uns herum genießen und mich unterhalten. Ein Fall von Verdrängung, dass ich gleich aus dem Flugzeug geschubst werde? In mir zeigt aber auch mein Projekt-Kompass in Richtung Australien. Ich will herausfinden, welche Geschichte hinter Max steckt. Gelegenheiten wollen genutzt werden, selbst auf dem Weg in 4.000 Meter Höhe.
Absprunghöhe in zwei Minuten. Max zieht die Gurte fest. Die Tür wird geöffnet. Womit ich mich nun definitiv unwohl fühle, ist nicht der Blick ins Freie. Zu sehen, wie einer nach dem anderen vor mir – wie die Lemminge, voller Elan – solo springen, verträgt mein Instinkt nicht. Ich muss meinen Kopf immer wieder wegdrehen, um sie nicht zurückholen zu wollen. Interessant zu sehen, wann der eigene Beschützerinstinkt greift.
Ein Fingerzeig von hinten auf mein Bein. Das Zeichen, mich Richtung Ausstieg auszurichten und mitzubewegen. „Wie fühlt es sich wohl an, die Beine ins Freie hängen zu lassen?“, erklingt es in meinem Kopf. Die Antwort folgt auf dem Fuße: so ähnlich wie beim Schaukeln, wenn ich am höchsten Punkt abspringe.
Den Kopf an den Tandem-Master anlehnen, Hände vorn an den Körper und schon ist das Flugzeug weg. Für die nächsten Sekunden ist mein Gehirn wohl mit den Eindrücken, welche die Sinne liefern, überfordert. „Ups, na jetzt muss ich durch“ huscht es durch meinen Kopf und ich bin der Meinung, dass wir mit dem Rücken Richtung Erde in die Wolkendecke eintauchen.
Aus den Wolken fallen fühlt sich wie ein sehr früher Morgen an: noch leicht orientierungslos und ein etwas unscharfer Blick, bis sich die Realität vor den eigenen Augen auftut. Ein atemberaubendes Gefühl (im wahrsten Sinne). Ich muss über mich selbst lachen, da ich mich wie ein Hund im fahrenden Auto bei geöffnetem Verdeck fühle.
Trotz meiner Brille sehe ich den Boden nicht wirklich näherkommen; zumindest nicht, als etwas, dem ich entgegenstürze. Am ehesten trifft die Beschreibung zu, dass sich der Maßstab der Objekte vor meinen Augen verändert. Als würde ich ein Bild vergrößern.
Ich spüre auch kein Kribbeln in meinem Bauch, wie in einer Achterbahn. Es fühlt sich nicht einmal wie fallen an. Eher wie in der Luft schweben mit einer richtig steifen Brise von vorne. Eigenartigerweise fühle ich mich sicherer als manchmal auf festem Boden.
Vorab wurde mir der Moment, in dem sich der Fallschirm öffnet, als eine Art Vollbremsung im Auto mit 200 Stundenkilometern beschrieben. Entweder erlebe ich an diesem Vormittag die sanfteste Vollbremsung oder meine körpereigenen Schaltzentralen sind noch immer zu sehr abgelenkt. Denn ich registriere mit einem Mal lediglich eine irritierende Aufwärtsbewegung, wie im Fahrstuhl.
Von nun an ist purer Genuss angesagt. Ich fühle mich wohl, sehe unseren Schatten umrandet von Regenbogenfarben auf einer Wolke, Max manövriert uns in eine herrlich Kurve, ich jauchze mit Kribbeln im Bauch und bin mir nicht sicher, wie laut der Freudenschrei für Max´ Ohren unter dem Helm ist. Denn ich bin erstaunt, wie gut ich selbst im freien Fall und mit „Eierwärmer“ auf dem Kopf, seine Stimme verstehe.
Das Gefühl für Zeit und Distanz sitzt wohl noch im Flugzeug. So bin ich wieder irritiert, dass Max bereits sagt: „wir üben nun die Landung“. Also, Beine hoch. Funktioniert. Wenig später landen wir, nach einer weiteren Kurve auf unseren Hintern übers Gras rutschend.
Danke Max, für diese absurd irre Erfahrung.
Möchte ich gleich wieder springen? Als ich wie ein frisch geschüttelter Hormon-Martini auf zwei Beinen von der Wiese wackle, möchte ich die Umdrehungen zunächst einmal wirken lassen und sehen was diese Eindrücke im Nachgang mit mir machen. Es gibt Dinge, bei denen brauche ich etwas Zeit. Aber dann … mit etwas Abstand beantwortet: wenn es jemanden gibt, der mir im Tandem zum Sonnenauf- oder -untergang über einer interessanten Landschaft zeigen würde, was flugtechnisch mit dem Schirm möglich ist, bin ich dabei. Was den freien Fall betrifft, würde ich sicher nicht zurückschrecken, aber es ist nicht mein favorisierter Part an der Sache. Vielleicht könnte ich ihn aber auch bei einer Wiederholung mehr genießen, weil mein Gehirn ein paar Sinneswahrnehmungen wiedererkennt.
Was dieses Erlebnis ebenso maßgeblich ausmacht, sind die Menschen, denen ich begegne, mit denen ich mich den Tag über unterhalten darf. Denn ich lasse es mir nicht nehmen, den gesamten Tag unter ihnen zu verbringen, sie ein Stück kennen zu lernen. Ob ein Tandem-Master, der in der Vergangenheit viel Leid zu sehen bekam und es nun genießt, Menschen immer wieder atemberaubende Momente zu bereiten. Oder eine junge Frau, die sich schwor, wenn das Durschnitts-Alter um sie herum beim Fußball nicht mehr ihrem eigenen entspricht, mit dem Fallschirmspringen anzufangen. Ein wunderbar bunter Haufen mit spannenden Geschichten, den unterschiedlichsten Hintergründen aber einer gemeinsamen Leidenschaft fürs Ungewöhnliche, die mich an diesem Tag offen aufnehmen.
Die FLYING BONES
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