Fashion Illustratorin • Mentorin • Architektin
Von der Architektur zur Modefigur.
„Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“, wie Hermann Hesse es beschrieb. Bei allem Zauberhaften, bedarf der anfängliche Schritt aber durchaus auch die größte Überwindung – ob ein unbekanntes Land zu betreten oder sich zu den eigenen Wünschen bekennen. Im Interview mit Virginia Romo unterhielten wir uns über ihren Weg von der Architektur-Studentin aus dem Baskenland zur Fashion Illustratorin in Stuttgart, über Heimat, Cocktails und was eine Fremdsprache so unterhaltsam macht.
Virginia, du bist Fashion-Illustratorin, hast aber Architektur studiert. Wie kam es zu diesem anfänglichen Umweg?
Ich zeichne schon immer gerne, wobei es mir weniger um das Ergebnis, als um die Tätigkeit geht. Ich markiere gerne auf Papier. Anders kann ich es nicht erklären. (Sie fängt an zu lachen.) Ich glaube ich fühle dabei die gleiche erwartungsfreie Freude, die ein Kind hat. Aber wie das zu einem Beruf werden konnte, war mir früher völlig unklar. Das war für mich, wie die Vorstellung Astromaut zu werden – wobei ich davon wohl noch eher eine Ahnung gehabt hätte als vom Beruf der Illustratorin.
Ich komme aus einer kleinen Stadt, in der es keine Verlage gibt und meine Familie hatte nichts mit Kunst zu tun. In der Zeit vor dem Internet wusstest du dort, wie du Arzt wirst oder Anwalt, aber nichts über den Weg in solch freie Berufe. Zu meinem Abitur wusste ich, dass mein Zeichenlehrer diplomierter Architekt war. Er konnte super zeichnen und ich dachte mir: „Das mache ich. Das hat etwas mit mir zu tun.“ Allerdings hatte ich nie den Wunsch, ein Haus zu bauen, mich damit zu verwirklichen, Räume, die ich mir vorstelle, zustande zu bringen. Ich dachte aber auch nicht, dass ich kreativ genug oder künstlerisch begabt bin. Architektur war etwas in der Mitte. Es hatte etwas mit mir zu tun und damit kann man sein Leben finanzieren.
Nicht weit von meinem Zuhause im Baskenland gab es eine Hochschule für Architektur. Ich musste nicht weg und es passte zusammen. So kam ich zur Architektur.
Mit dem Sprung nach Stuttgart gingst du dennoch weg. Was führte dich nach Deutschland?
Ich wollte meine Familie nie finanziell mit meinem Studium belasten, da sie nicht das Geld dafür hatten. Als meine Schwester mit ihrer Ausbildung zur Kosmetikerin fertig war und für eine Spezialisierung zur Maskenbildnerin beim Film nach Barcelona wollte – was meine Eltern bezahlten – dachte ich mir, dass wohl doch mehr möglich ist.
Seit jeher war es ein Wunsch von mir, ins Ausland zu gehen. Es gab das ERASMUS-Programm und damit wollte ich ein Jahr irgendwohin gehen. Damals hatte ich einen spanischen Freund, der gerade in Norddeutschland ein ERASMUS-Semestern absolviert hatte. Ich war zuvor bereits in Deutschland gewesen, wobei mir das Land so gefiel, dass ich weinte, als ich gehen musste. Ich mochte die Sprache, konnte sie aber weder sprechen noch verstehen.
Ich stellte bei ERASMUS einen Antrag und bekam einen Platz in Italien, an dem ich absolut kein Interesse hatte. Es gab allerdings eine Studentin, die einen Platz in London bekommen hatte, aber nach Italien wollte, weil ihre gesamte Clique dort war. So konnte ich meinen Platz tauschen. Ich konnte also nach London, wollte aber nach Deutschland. Daraufhin fand ich wieder eine Studentin, die unbedingt nach London wollte. Und so bin ich, vor jetzt 25 Jahren, nach Stuttgart gekommen.
Vor kurzem kam ich von einem Besuch aus Spanien zurück und ich merke, ich bin an meinem Platz, wenn ich nicht an meinem Platz bin. Ich brauche, glaube ich, ein bisschen das Fremde um mich herum.
Wie reagierte deine Familie?
Meine Mutter sagte damals am Flughafen, als ich das erste Mal wegflog, ich würde nicht zurückkommen. Ich war völlig überrascht, denn so genau waren meine Pläne noch nicht. Aber sie wusste es schon.
Weder sie noch mein Vater hatten ein Problem damit. Natürlich sagen sie mir, dass sie mich vermissen, aber sie möchten, dass ich glücklich bin.
In ein Land zu gehen, mit dessen Sprache du nicht aufgewachsen bist, ist spannend und birgt Potential für (lustige) Missverständnisse. Welches sind deine Lieblings-Missverständnisse?
Arztbesuche sind als Anfänger in einer Sprache eine besondere Challenge. Die Begriffe aus diesem Bereich lernte ich in keinem Sprachkurs. Glücklicherweise bin ich Spanierin und die Ärzte können Latein. Im Zweifelsfall sagen sie den lateinischen Begriff und dann kommen wir zurecht.
Aber einmal fragte mich ein Arzt, ob ich Röteln gehabt hätte, und ich dachte in dem Moment an Röntgen, weshalb ich antwortete: „Ja, das letzte Mal vor einem Monat an meinem Zeh.“ Ich sah ihm an, dass er sich keinen Reim darauf machen konnte, was die Frau ihm gegenüber meinte.
Hast du nach dem Studium auch als Architektin gearbeitet?
Ja und nein. Nach dem Studium landete ich in der Bauabteilung bei HP. Dabei ging es viel um Flächenmanagement in Büros und ähnlichem. Ab und an durfte ich eine Kantine neu machen oder hatte Projekte im Messebau. Meine Arbeit hatte nichts mit der Vorstellung eines Architekten zu tun. Was ich aber auch nicht vermisste. Schon als Studentin fand ich den Gedanken unangenehm, dass etwas was ich baute, mit all den Kompromissen, die du machen musst, für immer groß dastünde.
Wie gelangtest du von der Architektur zur Illustration?
Bis auf ein paar Freundinnen wusste keiner, dass ich gerne zeichnete. Wenn von ihnen eine heiratete und ein besonderes Kleid wollte, bot ich an, ihr Kleid zu zeichnen und mit der Zeichnung gingen manche auch zur Schneiderin.
Ich wollte Illustratorin sein, konnte diesen Satz aber nicht aussprechen. Der Satz bedeutete mir so viel, weshalb ich ihn nicht über die Lippen brachte. In meinem Kopf waren Gedanken wie: „Wer, denke ich, bin ich denn?!“ Das Interessante ist, dass solch ein Gefühl bei einem Satz wie: „Ich möchte Köchin werden.“ nicht auftauchte. Dabei regte sich nichts.
Nach neun Jahren bei HP verlor ich meinen Job. Zuvor hatten mein Mann und ich uns eine Wohnung gekauft und ich wusste, dass es im Immobilienmarkt tolle Pläne bei den Neubauwohnungen gab, aber bei Altbauwohnungen oft nur eine uralte, hässliche Kopie vom Katasteramt. So hatte ich den Gedanken, daraus ein Geschäft zu machen. Aus den alten Kopien schöne Zeichnungen erstellen, und wenn ich dann ohnehin schon zeichne, habe ich die Möglichkeit, auch andere Sachen zu machen. Die Immobilienpläne wären meine offizielle Erlaubnis zu zeichnen.
Im Rahmen meines Businessplanes, den ich anfertigen musste, tat ich so, als würde ich nur diese Pläne zeichnen und fand eine Woche vor Abgabe heraus, dass es bereits Agenturen gab, die diesen Service schneller und günstiger anboten, als ich es könnte. Ich passte den Plan so an, dass ich allgemein Illustrationen anbieten werde und meldete mich offiziell als Illustratorin an.
Wann kam der Schritt zu Fashion-Illustration?
Ich dachte zuvor in Schachteln. Als gäbe es einen bestimmten Ablauf, an dessen Ende du ein Diplom bekommst auf dem steht, was du machen darfst. Aber dann wurde mir klar, nein, es gibt auch anderes.
Weil ich für eine Freundin, die ein Kinderbuch geschrieben hatte, die Geschichte illustrierte, ging ich auf die Buchmesse. Die Illustratoren Organisation hat dort immer einen Stand und ich sah, dass zeichnen nicht nur ´für Kinder zeichnen` heißt, sondern dass es viele andere Bereiche gibt: in der Wissenschaft, Schulbüchern oder Magazinen. Mir zeigte sich zum ersten Mal eine ganze Welt an Möglichkeiten.
Als ich die Biografie eines Illustrators las, der erst Englischlehrer war und dann ein Portfolio zusammenstellte, mit dem er zu den Verlagen ging, wurde mir klar, keiner ist etwas, bis er es selber wird. Du kommst nicht mit einem Stempel auf die Welt, der besagt, was du bist. Ich wurde auch aus eigener Hand Architektin. Es ist ein Prozess. Wenn du etwas anderes werden willst, musst du damit anfangen. Wenn ich Boxerin werden will, muss ich mich in einem Club anmelden. Es gibt natürlich keine Garantie auf Erfolg, aber ich werde ziemlich sicher in einem Ring stehen und mit jemandem boxen. Und das ist unglaublich, denn, egal was es ist, du kannst es anfangen.
Und in dem Moment, als ich das las, wurde es mir klar: ja natürlich, wenn nicht ich, wer wird es für mich machen?! ICH muss es tun. Ich muss den ersten Schritt, von dem ich denke, er könnte es sein, gehen.
Du musst erst mal sagen, „ja, ich will Boxerin werden“ und dann meldest du dich an. Dann wirst du etwas über Handschuhe lernen, wie man die Schuhe bindet und so weiter. Du musst dich anmelden.
Wie gehst du mittlerweile mit Zweifeln um?
Die nehme ich mit. Manchmal lasse ich mich von ihnen einschüchtern, aber nicht immer. Mir sind meine Zweifel bewusst und auch das unangenehme Gefühl dabei. Das ist der Preis, den ich zahle, um das zu machen, was ich machen will. Während ich zeichne bin ich glücklich und deshalb zahle ich diesen Preis gerne. Genauso nehme ich die Müdigkeit oder andere unangenehme Gefühle, während ich arbeite, in Kauf.
Was mir viel gebracht hat, waren die Live-Events, bei denen ich vor Ort zeichne. Binnen kurzer Zeit, höchstens zehn Minuten, muss ich die Zeichnung als fertig deklarieren. Ich kann nicht sagen, dass ich sie zur Seite lege und morgen weiterarbeite. Wenn die Person, die diese Zeichnung anschließend bekommt, glücklich damit ist, wenn mein Kunde, der das Event und mich bezahlt, auch glücklich damit ist, was spielt es für eine Rolle, ob ich vielleicht nicht zufrieden bin? Wäre es nicht egoistisch, wenn ich sage „nein, das mache ich nicht, weil ich denke, die Linie ist noch nicht perfekt“?
Zudem sind Zweifel direkt in dem Moment größer, als mit Abstand betrachtet. Gelegentlich gefällt mir etwas direkt im Anschluss nicht und drei Monate später, wenn die Erwartung des Moments nicht mehr da ist, denke ich „das ist cool“ oder ich sehe es nicht mehr als meins. Natürlich versuche ich mich zu verbessern, um diese Gefühle zu vermeiden, aber es gehört dazu.
Was liebst du an diesen Live-Events am meisten?
Ich liebe vieles daran. Ich bereite mich den ganzen Tag auf diesen Moment vor. Vom Aufwachen an hat mein ganzer Tag nur diesen Zweck. Alles was ich mache, vom Aufstehen bis zur Anreise, ist eine Vorbereitung auf dieses Event. Mittlerweile denke ich, dass das eine Rolle spielt, wenn ich zeichne. Wenn ich vor Ort bin, läuft es einfach und wenn ich manchmal hier in meinem Atelier sitze, etwas cooles machen möchte, hadere ich oft.
Vor Ort herrscht eine super Energie. Bei dem Event sind alle gut gelaunt und manchmal gibt es auch Champagner dabei. Diese Energie nehme ich mit. Wenn die Zeit es erlaubt, komme ich auch manchmal zu netten Gesprächen und es ist ein schönes Gefühl, wenn ich dort fertig bin, bin ich fertig. Es gibt keine Korrekturen.
Viele sagen, es wäre beruhigend und meditativ, mich dabei zu beobachten, wie ich zeichne. Dabei ist in mir während dessen ein Tornado los. Die ganze Zeit entscheide ich, was ich dazu nehme, was ich weglasse, mehr nach rechts oder links. Das ist wie in einem schmalen Tunnel sehr schnell zu fahren. Nichts anderes ist in meinem Kopf außer dieser Zeichnung.
Du sagtest zuvor, du bist an deinem Platz, wenn du nicht an deinem Platz bist. Was oder wo ist für dich Heimat?
Heimat ist nichts außerhalb von mir. Kürzlich hörte ich etwas Wahres: Die Frage ist nicht, was ist Heimat, sondern bei welchen Tätigkeiten fühlst du Heimat?
Es kann eine Art sein, wie man Kaffee trinkt oder die Art einer Begrüßung, eine Fernsehshow aus der Kindheit. Ich nehme all diese Sachen aus verschiedenen Orten in mir mit.
Wenn ich Heimat höre, denke ich an die Sachen, die zu mir gehören. An diese Mischung in mir. Ich glaube jeder von uns ist ein Cocktail. Mein Cocktail ist meine Heimat und dessen Bestandteile sind auch nur teilweise mit denen eines anderen identisch, was gut ist.
Ein perfekter Tag beginnt mit …
… Zeit.
Wenn Zeitreisen möglich wären, dann würde ich …
… ins nächste Jahr schauen. Aber eigentlich auch nicht, denn im Grunde möchte ich noch nicht wissen, was dann kommt.
Ich kann nicht widerstehen, wenn …
… ich das Meer sehe, darin zu baden, würde ich sagen. Aber manchmal ist es mir zu kalt, dann widerstehe ich schon.
Wenn wir doch mal einen Blick in die Zukunft werfen und du im hohen Alter am Strand sitzt, deine Großnichte oder -Neffe mit einem Stift und Papier kommt um dich zu bitten, ihr oder ihm die drei Wahrheiten deines Lebens aufzuschreiben. Was würdest du dem Kind mit auf den Weg geben wollen?
• Du darfst alles anfangen.
• Mach dir weniger Gedanken darüber, was andere Menschen denken, denn sie sind mit sich selbst beschäftigt.
• Steh dir nicht selbst im Weg, denn alles ist offen.
Die letzte Frage, Virginia. Was setzt du mir auf meine ToDo-Liste, was sollte ich wohl machen?
Wir haben über ein weiteres Fotoprojekt von dir gesprochen und ich sage, dass du nach maximal 10 weiteren Bildern dafür, den nächsten Schritt gehen solltest.
Vielen Dank für das Interview, Virginia.
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